Eine spannende Frage finde ich. Ich möchte das gerne heute mit Dir teilen, weil ich mir das bis vor kurzem ehrlich gesagt selber nicht so ganz genau ausgerechnet habe (was ich nur sehr ungern zugebe) und weil es mich geschockt hat. Astrid Hein, von Beruf Schnitt- und Fertigungsdirectrice und Schneidermeisterin, hat sich die Mühe gemacht es exemplarisch durchzurechnen. Zu diesem Thema hat sie einen Blogartikel geschrieben, der so ziemlich alle anfallenden Kosten miteinrechnet. Das war für mich der Auslöser für diesen Blogartikel.
€ 3.000,– bis € 8.000 für ein Schnittmuster, das gibts doch nicht! Leider doch.
Astrid Hein hat im Schnitt € 3.000,– errechnet. Und Miriam Strotkötter von @nannapatterndesign hat sich auch die Arbeit gemacht und ist bei ca. 4000 Euro gelandet. Wow, denkst Du jetzt, soviel? Und ich sage, tut mir leid, aber das reicht nicht. Die € 3.000,– wurden für ein einfaches T-Shirt angesetzt mit ungefähr 5 Stunden Schreibzeit für die Nähanleitung. An meinen Nähanleitungen sitze ich Tage und auch an der Beschriftung bzw. Bearbeitung des Schnittmusters. Besonders aufwendig ist das Abfotografieren der Nähschritte und das darauffolgende Bearbeiten der Fotos.
Astrid hat das Thema auch auf Instagram besprochen und nochmal vertieft, was mir sehr gut gefällt. Ich bin froh, dass sie das Thema öffentlich gemacht hat, weil ich denke, das Transparenz bei der Preiskalkulation zu mehr Wertschätzung für das Produkt führt. Auf Instagram sagt sie, dass die Entwicklung eine Schnittmusters sogar bis zu € 8.000,– kosten kann. What, jaaaa unfassbar oder? Komplizierte Schnittmuster in vielen Größen mit mehreren Korrekturschleifen bei der Schnittdirectrice, da ist das möglich.
Was muss in die Kalkulation – ein Versuch
- 1 – 2 Tage Entwicklungszeit für den Erstentwurf – rund 16 Stunden
- 3 Stunden Ausarbeitung der Vorlage für die Schnittmusterdirectrice (je genauer diese ist, desto schneller ist das SM fertig)
- 2-3 Stunden durchschnittliche Arbeitszeit direkt am Schnitt
- der Erstschnitt kommt in Rohform (digital) zu mir
- 2 Stunden für die Umwandlung in ein DINA4-Schnittmuster
- 0,5 h ausdrucken und kleben
- 3 Stunden durchschnittlich um das Probemodell zu nähen (eher mehr)
- 3- 4 Stunden Korrektur des Modells und präzise schriftliche Erklärung für die Directrice
- 1 Stunde durchschnittlich Korrektur seitens der Directrice
- 1 Stunde geänderte Schnittteile austauschen
- 0,5 h ausdrucken und kleben
- 4 Stunden – 2 Probemodell nähen und beurteilen
- 1 Stunde durchschnittlich 2. Korrektur (meistens gibt es 2 Korrekturschleifen)
- 1 Stunde geänderte Schnittteile austauschen
- 0,5 h ausdrucken und kleben
- 3 Stunden das Schnittmuster überprüfen und die geänderten Teile austauschen: die Strecken genau nachmessen, sind alle Markierungen da, wurden meine Änderungen berücksichtigt und beschriften
- 1 Stunde A0 Plott vorbereiten
- 3. Probemodell, bei dem ich gleichzeitig während des Nähens die Nähschritte fotografiere und die Nähanleitung in Rohform schreibe. Die Fotos müssen einzeln bearbeitet werden. Das ist je nach Modell sehr unterschiedlich. Ich versuche einen Durchschnittswert anzugeben: 32 Stunden
- 2 Stunden um die Stoffverbräuche zu ermitteln
- 2 Stunden um die Probenähgruppe zu informieren, abzuklären wer macht micht, Fragen beantworten, Dateien hochladen usw.
- Probenähzeitraum durchschnittlich 2 Wochen. In dieser Zeit Hilfeleistung durch Fragen beantworten, Änderungen besprechen usw. tägl. ca. 1 Stunde, 12 Stunden insgesamt
- 2 Stunden letzte Änderungen am Schnittmuster
- 3 Stunden Korrektur der Nähanleitung, grafische Umsetzung
- 2 Stunden für Produktfotos
- 6 Stunden sämtliche Fotos sichten, bearbeiten und auf Format bringen (danach ist mein Arm meistens taub ;-))
- 5 Stunden Produkt anlegen auf b-patterns, Makerist, alles für Selbermacher, Sewunity
Das ergibt ca. 110,5 Stunden reine Entwicklungszeit multipliziert mit einem angenommenen Stundensatz von 30 Eur0 brutto (hier handelt es sich um einen Stundensatz für Selbstständige)
- € 3.315,– reine Entwicklungskosten
- + € 1.989,– 60 % anteilige Gemeinkosten meines Unternehmens (Fremdleistungen, Versicherungen, Energiekosten, Materialkosten usw.)
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- € 5.304– Gesamtentwicklungskosten
- + € 795,60 15 % Gewinn
- ———————————–
Das ergibt € 6.099,60 Produktionskosten inkl. 15 % Gewinnaufschlag für ein durchschnittlich aufwendiges Schnittmuster*
Bei einem Verkaufspreis von 7,90 oder 8,90 und Entwicklungskosten von € 6.000 + kann sich jeder ganz leicht ausrechnen, wieviele Schnittmuster von einem Modell verkauft werden müssen, bis es Gewinn abwirft. Das ist schon eine echte Hausnummer. Ich persönlich finde es schwierig, das hier so schwarz auf weiß zu lesen. Denn:
Astrid spricht ein Thema an, das besonders uns Frauen und wenn ich ehrlich bin auch mich betrifft. Wir verrechnen oft den Faktor Zeit, also die Zeit, die wir in eine Sache investieren, nicht ehrlich. Meistens setzen wir – im DIY-Bereich – unsere Arbeitszeit viel zu gering an. Oder wieso kann es sonst sein, dass ich am Adventsmarkt handgemachte Socken von einer Strickerin für 35 Euro kaufen kann. (Wieviele Stunden strickt man nochmal an einem paar Socken?)
Und selbst das empfinden wir vielleicht auf den ersten Blick als „zu teuer“, weil wir den Fehler machen, den Preis dieser handgearbeiteten Socken mit Industriesocken zu vergleichen. Industriesocken werden zu tausenden in wenigen Minuten von einer Maschine gestrickt.
Oder nehmen wir das Thema Taschen. Viele meiner Kundinnen, vielleicht ja sogar Du, haben das Schnittmuster für die Projekttasche BI&SI gekauft. Einige selbstständige Frauen haben zusätzlich eine Lizenz erworben und nähen sie, um die fertige Tasche zu verkaufen. Nun kostet das Material für die Tasche inkl. Schnittmuster um die 50 Euro, je nachdem, wofür man sich entscheidet. Verkauft wird sie lt. meinen Recherchen zwischen 80 und 109 Euro. Das scheint auf den ersten Blick nicht so wenig, aber wenn man bedenkt, das auch sehr schnelle Näherinnen sicher mind. drei bis vier Stunden für die Anfertigung benötigen. Davor müssen sie den Stoff und die Zutaten passend auswählen. Wenn man kein fertiges Materialpaket kauft, geht dafür ganz locker eine Stunde oder mehr ins Land. Und dann sind da noch sämtliche Fixkosten, die man als Selbstständige anteilig verrechnen muss. Da sind dann 109 Euro auf einmal doch gar nicht soviel. Vor allem, wenn dann noch eine liebevolle Extrastickerei auf der Tasche ist oder sogar noch ein kleines Täschchen mit dabei, wie z. B. bei Creativmadre.
*Ich habe diese Kalkulation nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Ich bin aber keine Finanzfachfrau und bitte das zu berücksichtigen. Du hast einen Fehler entdeckt? Dann schreib mir! info@b-patterns.com.
Mir geht es um die Wertschätzung für das Produkt “Schnittmuster mit detaillierter Schritt-für-Schritt-Nähanleitung mit Anpassungstipps und mehreren Nähvarianten”, so wie ich es mache.
Das ist der Grund, warum ich das Thema aufgegriffen habe.
Als Kundin ist es sicher schwierig, so ein Produkt einzuschätzen. Man hat mehrere PDF-Dateien (oder Papierschnittmuster), die man vielleicht sogar noch selber ausdruckt. Also eigentlich nur Geschriebenes. Sowas wie eine Minizeitschrift aber eben nur über ein Schnittmuster. Man kann nicht wissen, wieviel Arbeit geleistet werden muss, bis die Nähanleitung mit dem Schnittmuster verkauft werden kann. Tatsächlich arbeite ich von der Entwicklung bis zur Fertigstellung sechs bis acht Wochen je Modell. Das beinhaltet nicht das umfangreiche Marketing, ohne das es nicht funktioniert. Das kommst erst danach.
Hättest Du das gedacht? Mit jedem Schnittmuster hältst Du ein in zahlreichen Stunden sorgsam erarbeitetes exklusives Produkt in Deinen Händen. Es ist viel Vorwissen und Erfahrung nötig, um ein Schnittmuster zu entwickeln, das möglichst einem breiten Querschnitt von Frauen passt. Zusätzlich gebe ich Dir noch Vorschläge für mögliche Anpassungen an Deine Figur individuell zum Modell.
Wenn Du Dich für eines meiner Schnittmuster entscheidest, darfst Du das gute Gefühl haben, das das Preis-Leistungsverhältnis dahinter stimmt und es jeden Euro wert ist.
An dieser Stelle möchte ich sagen, dass sich bislang erst zwei mal Kundinnen direkt bei mir, über meine Preise für Papierschnittmuster beschwert haben. Ansonsten war das noch nie Thema. Ich verstehe das so, dass meine Kundinnen mein Produkt sehr gut wertschätzen können.
Zum Thema Preisgestaltung und Aufmachung Papierschnittmuster werde ich beizeiten einen eigenen Newsletter verfassen, weil mir das auch wichtig ist.
Ich hoffe, ich konnte Dir heute einen interessanten Einblick gewähren. Schreib mir gerne, wenn Du Fragen dazu hast.
Was ist mit der Arbeit, die die Probenäherinnen leisten?
Diese Stunden sind nicht mit eingerechnet. Ich könnte jetzt an dieser Stelle, gleich noch ein Fass aufmachen (das kann ich ziemlich gut, haha..) aber ich tue es nicht. Nur soviel: Probenäherinnen werden nicht bezahlt, sie bekommen das Schnittmuster mit der Nähanleitung zur Verfügung gestellt. Ihre Mitarbeit weiß ich sehr zu schätzen, auch die Verbesserungsvorschläge und natürlich die Fotos. Trotzdem könnte ich es mir nicht leisten, diese Arbeit zu bezahlen. Ich wünschte, ich müßte das nicht schreiben. Aber wie gesagt, es geht mir um Transparenz.
Was schlussendlich vom Produktpreis (Verkaufspreis pro Schnittmuster) übrig bleibt
Rechenbeispiel für ein digitales Schnittmuster
Von den 2,71 müssen dann noch die Produktherstellungskosten (siehe obige Tabelle) prozentual abgezogen werden. Das ist dann der Gewinn vor Steuern pro Schnittmuster. In Österreich zahlt man ab einem Jahresgewinn von € 11.693,– 20 % Einkommenssteuer. Ab € 19.134,– 30 % usw.
Die Rechnung für ein digitales Schnittmuster ist ähnlich. Es kommen noch zusätzlich die Kosten für die Druckerei und der Versand und Verpackung dazu. Ausserdem noch 40 Cent Abzug pro Papierschnittmuster als Spende für eine Umweltschutzeinrichtung (wird 1 x jährlich gespendet).
Und was ist eigentlich mit der hohen Inflation von derzeit 5,8 % (Stand Oktober 2023)
Tatsächlich habe ich bis jetzt die hohe Inflation nicht in meine Preise eingerechnet. Meine Druckerei für die Papierschnittmuster hat ihre Preise im Oktober 2022 erhöht und ich habe es bislang nicht weitergegeben.
Willst Du lernen Preise richtig zu kalkulieren?
Vielleicht bist Du ja auch UnternehmerIn, so wie ich und bist unsicher bei der Preisgestaltung. Anke aka @Cherrypicking hat sich ebenfalls mit der viel zu stiefmütterlich behandelten Thematik auseinandergesetzt und bietet einen Kurs dazu an: Handmade Business – Preise kalkulieren.
Das hat für Dich geschrieben:
Ingrid Berzsenyi-Paetzel
Modedesignerin und gelernte Schneiderin
Liebe Ingrid,
Ich habe mich, als Kollegin, sehr über deinen Blogpost gefreut. Während des Lesens habe ich ständig genickt. Du hast den Kostenpunkt total getroffen. Ich bin dir sehr dankbar für die Arbeit die du dir mit diesem Blogpost gemacht hast.
Ich hoffe ganz stark, dass durch deine transparente Auflistung auch der Tausch der digitalen Dateien ein wenig gedämmt wird. DENN DIE WEITERGABE DER DIGITALEN SCHNITTMUSTERDATEIEN IST KEIN NETTER ZUG – AUCH KEIN KAVALIERSDELIKT! Sondern ein mitunter harter finanzieller Verlust unserseits, ganz zu schweigen von der fehlenden Wertschätzung unserer kreativen Arbeit.
Liebste Ingrid – ich drücke dich
Wärmste Grüße
Bine – echt Knorke
Liebe Bine, wie schön, dass Du dich hierzu äußerst und meine Überlegungen bestätigst. Am Anfang meiner Tätigkeit habe ich versucht mich an den Preisen der anderen Schnittmusterdesigner (obere Preislagen) zu orientieren, ohne zu wissen, was mich die Schnittmusterentwicklung wirklich kostet. Aber um nachhaltige, unternehmerische Entscheidungen fällen zu können, ist es unumgänglich sich grundlegend damit auseinanderzusetzen.
In Österreich wird das Gewerbe durch hohe Auflagen besonders geschützt. Das ist Fluch und Segen zugleich. Als Gewerbetreibende muss ich hier eine abgeschlossenene Ausbildung + Meistertitel oder Nachweise haben, dass ich im entsprechenden Beruf gearbeitet habe und so befähigt bin, ihn auch auszuüben. Ausserdem ist eine Unternehmerprüfung oder entsprechende kaufmännische Ausbildung vorzuweisen.
In Deutschland gibt es solche Auflagen nicht. Jede/r Schnittmuster machen und anbieten und das führt dazu, das Preise ohne kaufmännische Grundlage zu niedrig festgesetzt werden und so den durchschnittlichen Marktpreis im Ländervergleich sehr niedrig halten. Viele dieser Indielabels arbeiten aus dem Wohnzimmer heraus, mit der Absicht zum Familieneinkommen etwas dazuzuverdienen. Das macht es sehr schwierig, „reale Preise“ anzusetzen, mit denen man als AlleinverdienerIn auch überleben kann. Das ist keine Wertung, das ist meine Erfahrung.
Und ich denke auch, das zusammen mit der Gewerbeverordnung sind die Gründe, warum wir hier in Österreich nur sehr wenige Schnittmusterlabels haben.
Schön, dass Du auch die Thematik mit der Weitergabe von digitalen Schnittmusterdateien ansprichst. Ich bin ganz Deiner Meinung. Vielleicht hast Du ja Lust dieses Thema öffentlich zu besprechen. Ich denke, vielen ist nicht bewußt, dass es eben keine Kleinigkeit ist, sondern sich direkt als Verlust beim Schnittmusterersteller niederschlägt.
Herzliche Grüße an Dich, Ingrid
Liebe Ingrid,
Respekt für soviel Herzblut für deine Arbeit.
Das merkt man den Schnittmustern aus deinem Hause 100% an.
Ich bin auch „Handwerkerin“ und weiß
wieviel Arbeitszeit und Können dahinter
steht.
Immer wieder gerne.
Vielen Dank dafür und beste Grüße
Liebe Heidi,
Deine Worte wärmen mein Herz, anders kann ich es nicht sagen. Und bleiben wir beim Herz, ohne Herzblut geht es nicht. Das wissen alle EinzelunternehmerInnen. Entgegen vielleicht anderer Annahmen ist das Entwickeln von Schnittmustern ein „harter Job“ der Zähigkeit und ein schier unglaubliches Durchhaltevermögen erfordert und mir bei all dem eine unglaubliche Befriedigung verschafft. Ich wollte nichts anderes machen. Herzliche Grüße an Dich.
Ein wirklich interessanter und guter Beitrag! Danke dafür! Die Summe am Ende ist das eine, aber die detaillierte Auflistung der Arbeitsschritte finde ich noch aufschlussreicher und beeindruckender.
Mir ist ein gutes Schnittmuster selten zu teuer, denn ich kaufe selektiv und sehr bewusst, und nehme es als Grundlage für eigene Variationen. Ein gutes Schnittmuster, das man erfolgreich für sich individuell angepasst hat, ist so vielseitig nutzbar! Die hier zahlreich vorgestellten Beispiele und Variationen sind immer schon eine gute Inspiration 🙂
Liebe Dagmar, es ist mir ein großes Anliegen, dass meine Schnittmuster von der Käuferin – sind sie einmal angepasst – öfter und über Jahre immer wieder genäht werden. Mein Anspruch ist es, möglichst zeitlose variantenreiche Modelle zu entwickeln, die das auch hergeben. Und genau das hast Du für Dich erkannt und wiedergegeben. Danke für Deinen wertschätzenden Kommentar.