Gibt es ein Schneider-Gen? Ich sage: JA
Sicherlich liegt es ja an meinem Großvater, daß ich bereits mit 12 Jahren ohne Anleitung auf der Nähmaschine meiner Mutter erste Nähversuche startete. Mein Großvater mütterlicherseits war Schneidermeister mit eigener Werkstatt in einem kleinen Dorf im Burgenland, im Osten Österreichs. Ich habe ihn leider nie kennengelernt, da er schon lange vor meiner Geburt verstorben ist. Er hatte eine schwere Erkältung und arbeitete trotzdem weiter, denn die bestellten Kleidungsstücke mußten fertig werden. Das hat er leider nicht mehr erlebt (oder überlebt) – seine Erkältung wurde zu einer Lungenentzündung, an der er schlussendlich starb. So hat es mir mal meine Oma erzählt. Aber die Gene (Frage: Gibt es ein Schneider-Gen?) hatte er weitergegeben – wie gut.
So bin ich Schneiderin mit Designausbildung geworden
Mein erstes Werkstück war eine kleine Tasche in Herzform mit Lederband. Darauf prangte – dem Kartoffeldruck sei Dank – der Name, der von mir damals angehimmelten Boygroup. Und das setzte sich so fort. Während meiner Jugend nähte ich nach Burda- und Brigitte-Schnittmustern meine eigene Kleidung. Angefeuert von meiner besten Freundin, die sich angesagte Mode einfach kaufen konnte. Bei mir war das Taschengeld dafür zu knapp. Aber ich hatte eine Nähmaschine und ich wußte, wo es gute und günstige Stoffe gab und ausserdem liebte ich es zu nähen und später mit den neuen schrillen Sachen anzugeben. Ich sage nur „froschgrüner Overall mit asymetrischem Reißverschluss“…damals in den 80ern ein echter Kracher bei uns im Dorf!
Die Ausbildung zur Schneiderin an der Fachschule für Mode und Bekleidungstechnik in Wien Herbststrasse (1990-1992) habe ich übrigens erst nach meinem Abitur und einigen Jahren im Büro als Exportsachberarbeiterin gemacht. Das fühlte sich aufeinmal richtig an. Ich wußte, das ist es: Mode und Design, das wollte ich machen. Kreativ sein, Mode entwerfen und das Handwerk dazu beherrschen.
Meine Liebe zum Zeichnen konnte ich in Modezeichnungen voll ausleben. Bei der nachfolgenden Ausbildung in Rom (1993/94) an der ACCADEMIA EUROPEA DI MODA E COSTUME beschäftigte ich mich ausschließlich mit Modezeichnen und Kollektionsgestaltung. Damit hatte ich das perfekte Grundpaket zusammen: Eine handwerkliche Ausbildung + die gestalterische Ausbildung. Das fand auch die Firma MARIO ROSELLA – ein Blusenhersteller aus Hamburg, bei der ich die Jahre danach als Blusendesigner viel Erfahrung sammeln durfte. Jetzt fragst Du Dich vielleicht, Wien, Rom, Hamburg – wie geht das? Naja erstens bin ich immer schon sehr neugierig auf andere Orte gewesen und viel gereist und zweitens habe ich auf einer dieser Reisen meinen Mann – einen Hamburger – kennengelernt. Und der mußte erst Industrial Design in Hamburg fertig studieren. Also ab nach Hamburg.
Nach ein paar Jahren hatte ich die Nase voll vom stressigen Alltag in einer Modefirma. Ich wollte selbstbestimmter arbeiten und am Wochenende nicht völlig ausgepowert sein. Also habe ich gekündigt und mich entschieden meine Expertise als freie Designerin anzubieten. Ende der 90er gab es noch eine gute Auswahl an Modeherstellern in Deutschland und es war einfach als freie Mitarbeiterin für verschiedene DOB-Firmen zu arbeiten. Den beruflichen Umbruch verbanden mein Mann und ich gleich mit einem Umzug nach München. Die Entscheidung war sowas von richtig – es folgten sehr gute Jahre. Mit der Firma ALEXANDER, damals noch in Regensburg, schafften es meine Entwürfe in die MADAME:
Eine eigene Firma gründen? …B-patterns entsteht
Mit der Geburt meiner Kinder änderte sich die Situation erneut. Es war nötig noch flexibler zu werden und tagelange Abwesenheit durch Messen oder Firmenbesuche war nicht mehr machbar. Als mein 2. Kind im Kindergarten war, setzte ich um, was mir lange im Kopf herumging: Ich gründete B-PATTERNS SCHÖNE SCHNITTE und stellte Ende 2012 mein 1. Schnittmuster online – eine Tasche übrigens – die am Erscheinungstag genau zwei Leute kauften! Was für ein Drama, spätestens da war klar: Das wird doch nicht so einfach. Aber das ist eine andere spannende Geschichte.
Zurück zu meinem Großvater Franz Klenner. Vor einiger Zeit habe ich das Haus besucht, in dem er und meine Oma lebten und arbeiteten. Als Kind liebte ich es am Dachboden herumzuschnüffeln und ich erinnerte mich, dort einen großen hölzernen Zuschneidetisch, Bügeleisen, Schneiderzeitschriften, Knöpfe usw. gesehen zu haben. Ich wollte wissen, was davon noch übrig war. Nicht viel wie man auf dem Foto sieht. Die Spinnen und Mäuse hatten das Regiment übernommen. Trotzdem konnte ich einen französischen Modellkatalog für Schnittmuster aus dem Jahr 1957 und den Meisterbrief meines Großvaters finden. Diesen habe ich neu gerahmt, er hängt jetzt in meinem Atelier in der schönen Steiermark. ;-), wo ich inzwischen gelandet bin.
Nur eine knappe Stunde von unserem neuen Zuhause steht immer noch dieses schnuckelige Landhaus. Die Schneiderwerkstatt befand sich hinter den beiden Fenstern rechts im Bild. Meine Großeltern haben es selber aus Feldsteinen gebaut und Apfelbäume davor gepflanzt. So schließt sich der Kreis.
Das war ein Einblick in meine persönliche Geschichte und Ausflug in meine familiäre Vergangenheit. Mehr über mich und was mir als Modellmacherin wichtig ist, liest Du hier: Mehr über mich
Herzliche Grüße, Ingrid
Liebe Ingrid,
ich lese deinen Blog schon länger, habe diesen Beitrag aber eben erst gelesen. Ja, ich glaube auch, dass es ein Schneider-Gen, oder überhaupt ein Handwerker-Gen, geben muss. Ich bin einerseits zwischen Farbtöpfe und Kalkeimern und andererseits zwischen Amboss und Esse aufgewachsen. Meine Vorfahren von beiden Seiten waren Handwerker. Das Schmiedehandwerk eines Teils meiner Familie konnte sogar bis ins 16. Jahrhundert nachgewiesen werden. Und alle Handwerke werden bis heute von den Nachkommen weitergeführt, was mich wirklich froh macht.
Ich glaube auch , dass das in einem steckt. Ich habe immer eine Handarbeit gemacht und vor ein paar Jahren wieder das Nähen für mich entdeckt. Kleidung nähe ich nicht so viel, aber das spielt ja auch keine Rolle. Es muss einem Befriedigung geben und Spass machen.
Danke für deine Geschichte und die Anregung, mich wieder mal an die eigene zu erinnern.
Liebe Grüße, Bärbel
Liebe Bärbel, das ist ja mal sehr interessant. Ich danke Dir, dass Du uns an Deiner Familiengeschichte teilhaben lässt. Herzliche Grüße, Ingrid
Hallo Ingrid, ja es gibt „Schneidergene“ da bin ich mir sicher. Auch wenn diese manchmal verloren im Gengewusel anfangs übersehen werden. Schöne Geschichte mit deinem Opa. Auch ich habe schon als Kind mein „Schneidergen“ entdeckt. Meine Ur- Oma und Oma waren im Ruhrgebiet Weißnäherinnen mit einem kleinen Geschäft für Wäsche und was sonst noch zu diesem Thema gehört. Leider hat meine Oma wegen der großen Not 1918 das Ruhrgebiet verlassen und aufs Land gegangen, geheiratet, 12 Kinder bekommen und die Weißnäherei nur noch zur eigenen Nutzung ausgeübt. Meine Ur-Oma habe ich leider nie kennen gelernt. Hätte gerne etwas gestalterisches gelernt, da ich mir mit 14 meine Kleidung schon selbst genäht habe.Mußte dann aber so einen Sozialkram studieren und bin jetzt nach 37 Jahren ausgestiegen. Seit einem Jaht befasse ich mich wieder autodidaktisch mit meiner Passion Nähen, Sticken, Häkeln und verbinde oft die unterschiedlichen Techniken miteinander. Auf der Leiter der Perfektion bin ich aber mal gerade (nach Selbsteinschätzung) auf 2 von 10 gelandet. Habe also noch einen weiten Weg vor mir, bis ich mit meinen Ergebnissen voll zufrieden bin. Aber ohne den ersten Schritt wierd man das Ziel nie erreichen. Ich übe ständig neu. Vielen Dank für die Inspirationen. Herzliche Grüße Ingrid #95
Hallo liebe Ingrid, schön dass ich dich jetzt hier als Leserin entdecke. Ich mag dieses Thema und die schönen alten Geschichten, die damit verbunden sind. Danke vielmals, dass du mir die deiner Oma bzw. Uroma erzählt hast. Und es ist sicher richtig, daß du wieder mit dem Handarbeiten begonnen hast. Mach einfach weiter und du wirst sehen, du wirst viel Freude und Befriedigung daraus ziehen – das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Es grüßt dich herzlichst, Ingrid
Hallo Ingrid,
durch Zufall bin ich auf deine Seite gestoßen. Deine Geschichte hat mich sehr berührt. Ich kann deine Freude am Dachboden deiner Großeltern gut verstehen. Ich habe eine alte Nähkiste von meiner Oma. Darin habe ich nichts verändert .Es ist für mich jedesmal wie Weihnachten, wenn ich den Kasten öffne und mir vorstelle was meine Oma allesdamit erschaffen hat.
Ich denke auch das solche Gene vererbt werden. Meine Mutter hatte mit Handarbeit wenig am Hut. Ich habe mich schon als Kind dafür interessiert. Meine Oma war Schneiderin und mein Opa Schreiner.
Schön, dass es solche Menschen wie dich gibt, die einem wieder in die „alten Zeiten“ eintauchen lassen.
Ich wünsche dir alles Liebe
Sabine
Liebe Sabine, es ist mir eine aufrichtige und seltene Freude, die Seele eines Menschen zuberühren. Auch für mich sind deine Zeilen ein Geschenk. Danke dafür und alles Liebe und Gute wünscht dir Ingrid
Schon allein wieviel Liebe in dem Meisterbrief steckt…schön, dass Du etwas von seiner Schneiderliebe mitbekommen hast. So wiederholt sich alles.
LG Jacky
Liebe Jacky, ja – mit jedem Jahr kann ich meine „Gaben “ mehr und mehr schätzen. So sind wir verstrickt mit unseren Vorfahren mit unserer Vergangenheit. Danke für deine lieben Zeilen. Ingrid
Hallo Ingrid,
Dein Post spricht mir aus der Seele. Und ja, es gibt das Schneidergen. Mein Urgroßvater und eine Tante mütterlichseits und mein Großvater väterlich waren Schneidermeister. Und nachdem mir das Nähen und hantieren mit schönen Stoffen schon als Kind viel Spaß gemacht hat, lernte auch ich, allerdings auf Umwegen, das Schneiderhandwerk. Nachdem ich dann einige Jahre als Schneiderin gearbeitet habe, meinte ich, es müsste eine Veränderung her und machte etwas anderes. Mittlerweile ist das Nähen zu meinem geliebten Hobby geworden. Ein Tag ohne meine Nähmaschine gibt es so gut wie gar nicht.
Ich finde es toll, dass Du so viele Erinnerungsstücke an Deinen schneidernden Großvater hast.
Sonnige Grüße
Anke
Liebe Anke, genau das ist es, was ich so am Internet schätze. Es finden sich Menschen mit ähnlichen Geschichten, die sich sonst wohl nie berührt hätten. Danke für deine Zeilen. Liebe Grüße
Ingrid